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Warum ältere Menschen in der Regel am glücklichsten sind

Warum ältere Menschen in der Regel am glücklichsten sind Warum ältere Menschen in der Regel am glücklichsten sind Fotolia © Monkey Business #30839110
Es scheint paradox: Trotz körperlicher Beschwerden und chronischer Krankheiten sind ältere Menschen in der Regel glücklicher und zufriedener, als Jugendliche oder junge Erwachsene. Tobias Esch, Lehrstuhlinhaber und Institutsleiter am Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung der Universität Witten/Herdecke, hat ein Modell entwickelt, das dieses Zufriedenheitsparadoxon erklärt.


Esch forscht seit fast 20 Jahren zum Belohnungssystem des Gehirns sowie zum Glückserleben. Seine Ergebnisse hat er nun in einem Grundsatzpapier zusammengefasst. Er unterscheidet drei Arten von Glück, die je nach Lebensabschnitt unterschiedlich stark ausgeprägt sind: (A) das „Wunsch-System“, (B) das „Bedrohungsvermeidungs-System“ und schließlich (C) das „Nicht-Wollen“ bzw. Verbleiben im „Hier und Jetzt“. Entstanden ist das so genannte „ABC-Modell“ des Glücks, das durch zahlreiche Studien empirisch belegt werden konnte. Demnach ist Glück kein kognitives Konstrukt, sondern ein Gefühl, das nachweislich auf der physiologischen Aktivität der neurobiologischen Belohnungs- und Motivationssysteme des Gehirns beruht. Dieses System findet sich in Spuren sogar bei den einfachsten Lebewesen.


Wie sich unser Glücksempfinden im Laufe der Jahre verändert

Das Glück ändert seine „Farbe“ im Laufe des Lebens. Nach Esch suchen wir in unserer Jugend Vergnügen und Nervenkitzel, sind kreativ, risikofreudig und lernbegierig. Glück ist in diesem Lebensabschnitt geprägt durch Vorfreude, Lust und Ekstase. In Phase B, der Bedrohungsvermeidung, erleben die meisten Menschen beanspruchenden Stress, etwa durch eine höhere finanzielle Belastung, berufliche Herausforderungen oder ihre Verantwortung als Eltern. In diesem Zeitraum sinkt meist die Zufriedenheit. Junge Erwachsene tendierten dazu, ihr Glück von der Vermeidung von Schmerz oder Bedrohung abhängig zu machen, berichtet der Glücksforscher: „Wir sind wachsam und bereit, uns den Herausforderungen und Schwierigkeiten zu stellen, um unser Leben und das unserer Familie zu schützen. Glück in dieser Phase sei dann eher ein Gefühl der Erleichterung, wenn Stress und Unglück eine Pause einlegen.“

Im Alter von ungefähr 60 Jahren aufwärts, statistisch sogar bis über das 80. Lebensjahr hinaus, brauchen die Menschen dann trotz körperlicher Beschwerden meist wenig, um zufrieden zu sein, hat Esch herausgefunden: „Der spätere Lebensabschnitt ist meist der Punkt, an dem die Euphorie und Stressvermeidung übergehen in ein tiefes, beruhigendes und dauerhaftes Gefühl von Glück und Zufriedenheit.“ Während das momentane Glück durch intensive, angenehme und euphorische, aber flüchtige Momente gekennzeichnet ist, ist die Lebenszufriedenheit tiefgreifender, beständiger und subtiler, und sie zeichnet sich etwa durch Gefühle der Akzeptanz, Zugehörigkeit, Ruhe und des Ankommens aus. Es scheint so, als würden wir im Laufe des Lebens immer besser darin zu werden, zufrieden und glücklich zu sein, resümiert der Mediziner. Erst wenige Jahre vor dem Tod nehme die Lebenszufriedenheit, z.B. durch die Verdichtung von Krankheiten, statistisch wieder ab.


Glück ist biologisch bedingt, aber erlernbar

Die Entwicklung von Glück und Zufriedenheit während der Lebensspanne gleiche häufig einer U-Kurve, die unabhängig von guter Gesundheit zu sein scheint. Bei männlichen Teilnehmern ist die Abnahme der Lebenszufriedenheit vom frühen Erwachsenenalter bis zur Lebensmitte stärker ausgeprägt als bei weiblichen. Den grundlegenden Befund einer höheren Lebenszufriedenheit in der zweiten, vermeintlich „besseren“ Lebenshälfte teilen sich Männer wie Frauen, aber der konkrete Kurvenverlauf unterscheidet sie. Dafür kann es viele Gründe geben, die noch nicht gänzlich aufgeklärt sind. Sicherlich spielen hier biologische, aber auch psychosoziale Faktoren eine Rolle.

Neurobiologische Prozesse prägen also unsere „Reifung“ über die Lebensspanne, indem sie die „richtigen“ Verhaltensweisen und damit verbundene Erfahrungen chemisch und biologisch belohnen. Dennoch ist dieser Verlauf des Glücksempfindens nicht vollständig vorbestimmt, betont Esch: „Meditations- und Achtsamkeitstechniken sowie Religiosität und Glaube scheinen beispielsweise den Verlauf des Glücks über die Zeit beeinflussen zu können. Glück kann durch Übung geformt werden.“


„U-Kurve des Glücks“ fast in allen Bevölkerungen und Ländern der Welt nachweisbar

Das von Tobias Esch beschriebene ABC-Modell von Belohnung und Motivation und seine Beziehung zu Glück begann mit Beobachtungen aus der Grundlagenforschung. Es wurde etwa aus Wissen darüber abgeleitet, welche Neurotransmitter in der Evolution wann auftraten und welche Stoffwechselwege miteinander verbunden waren. Die direkte Einsicht in große klinische (empirische) Längsschnittdatensätze, zum Beispiel die „Nurses Health Study“ (u.a. Harvard Medical School) oder die „Grant Study“ (Harvard Study of Adult Development) sowie die UK Million Women Study konnten die aus dem theoretischen Modell abgeleiteten Annahmen bestätigen.

Inzwischen zeigen aktuelle Erkenntnisse, dass eine solche U-Kurve des Glücks in fast allen Bevölkerungen und Ländern der Welt zu finden ist. Die Daten aus der Universität Witten/Herdecke bestätigen diesen Befund in der deutschen Bevölkerung.

Ergänzend zu dieser Publikation sei auf die Arbeiten des Medizinsoziologen Ronald Grossarth-Maticek verwiesen, der über Jahre angelegte Studien an großen Probandenkontingenten durchführte und dabei ganz ähnliche Fragestellungen behandelte. Aus seinen Studienergebnissen leitete er das so genannte „Autonomietraining“ ab, was wiederum vielfach Eingang gefunden hat in salutogenetische Ansätze. Lesetipp: „Selbstregulation, Autonomie und Gesundheit“.


Originalpublikation

Esch T. The ABC Model of Happiness – Neurobiological Aspects of Motivation and Positive Mood, and Their Dynamic Changes through Practice, the Course of Life. Biology 2022; 11: 843
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