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„Für eine freiere, demokratischere, gesündere, friedlichere, gerechtere und lebensfrohere Welt“, so stand auf der Titelseite der letzten Ausgabe der VKHD aktuell. In der Tat: Ohne Freiheit kann es weder Frieden und Gerechtigkeit noch Gesundheit geben, und mit der Freude ist es dann auch nicht weit her. Aber wie halten wir es mit der Freiheit ganz konkret? Hinreichend bekannt sind die Spannungsfelder zwischen „Freiheit“ und „Sicherheit“, sofern wir von Institutionen verlangen, beides gleichermaßen zu gewährleisten. In den gesellschaftlichen Entwicklungen der westlichen Welt hat sich diese Waage seit den späten 90ern immer mehr in Richtung Angst und Sicherheit verschoben.

Daher möchte ich heute der Freiheit eine Stimme geben. Und zwar gerade angesichts neuer gesetzlicher Bestimmungen, von denen schon Anfang 2018 gleich mehrere auf uns Heilpraktiker zukamen. Äußerlich gesehen ohne Zusammenhang und doch mit tiefgreifend zusammenhängender Wirkung:

  1. Die Forderung besonderer Hygiene-Ausbildung (bislang nur in Hessen) bei Anwendung invasiver Maßnahmen inkl. Akupunktur wird nur der Anfang sein der schon 2016 beschlossenen Regulierungen des Heilpraktikerberufs, die dann auch „Homöopathen“ treffen können und werden. Durch die fortgesetzte Ablehnung einer koordinierten Qualitätspolitik durch bestimmte größere Heilpraktikerverbände (u.a. FVDH, BDHN, FH und die meisten Landesverbände des FDH) sind wir Entscheidungen ausgeliefert, die auf Ebene der Gesundheitsmininisterkonferenz nun weitgehend hinter verschlossenen Türen getroffen werden.
  2. Die neuen GOBD-Grundsätze für Rechnungstellung und Buchhaltung sind nicht einfach nur ein Anforderungskatalog, der je nach individuellen Umständen eine kleinere oder ziemlich große Herausforderung darstellen kann. Die GOBD ist eine der Stufen – hin zu einer Finanzverwaltung 2.0 – bei der nicht mehr einzelne Beamte unsere Steuerunterlagen prüfen werden. Mittelfristig sollen wir Freiberufler in allen geschäftlichen Abläufen, von der Angebotserbringung bis zur Terminvergabe und Abrechnung, in gläserne und automatisiert elektronisch überprüfte Systeme hinein gelenkt werden. Die dann erforderliche Software wird allenfalls Patientendaten anonymisieren.1
  3. Auch die DSGVO ist mehr als ein Bündel von Vorschriften. Sie ist ein Beispiel, wie eine in den ersten Ansätzen gut gemeinte Initiative – nämlich der Schutz „informationeller Selbstbestimmung“ – zum Selbstläufer wird und, auch durch den Einfluss von Lobbygruppen, eine teils ganz andere Richtung einschlägt. Die erste Medien-Meldung, die ich je zur DSGVO hörte, thematisierte unumwunden einen Daten-Markt im Werte von mehreren Millionen Euro jährlich, den europäisch einheitliche Datenschutz-Bestimmungen ermöglichen sollten. Davon war offiziell bald nichts mehr zu hören. Für Kleinstbetriebe ist die DSGVO vor allem ein bürokratischer Moloch.

Was machen Bürokratisierung und Einschränkungen mit uns – und was machen wir mit diesen?

Ich weiß von KollegInnen, die kurz nach Bekanntwerden der DSGVO-Bestimmungen Stahltresore zur Aufbewahrung von Patientenakten bestellten – aber das Windows-Passwort ihres Praxis-Notebooks für eine Festplatten-Verschlüsselung halten. Ich weiß von KollegInnen, die anlässlich der DSGVO überlegten, ihre Praxis zu schließen. Andere hingegen ignorieren die Entwicklungen mehr oder weniger. Was ist „richtig“?

Viele Jahre lang hatte ich die Themenbereiche Praxisorganisation und Rechnungstellung für den VKHD mit begleitet. Ich gab auch Seminare dazu. Mein Anliegen war, dass wir Heilpraktiker unsere Verwaltung professionell, übersichtlich und mit nicht mehr als dem nötigen Zeitaufwand handhaben und somit Freiraum gewinnen für die eigentliche Arbeit mit unseren Patienten. Diesem Grundanliegen kann ich das eine oder andere, was dieses Jahr auf uns zugekommen ist, allerdings nicht mehr zuordnen! Wie stellen wir uns dazu? Reagieren wir erst, wenn eine bestimmte Aufmerksamkeitsschwelle überschritten ist, dann aber wie aufgeschreckte Hühner und ohne Blick auf Zusammenhänge? Oder schlafen wir auf der Stange, bis wir irgendwann herunterpurzeln?

Vielleicht erzähle ich einfach einmal, wie es mir selbst ging. Verbandsintern konnte ich Praxisorganisation und Rechnungstellung schon vor einiger Zeit in kompetente Hände abgeben und schaue allenfalls mal nach LVKH-Aktualisierungen. Der VKHD leistete hier mal wieder eine ganz hervorragende Arbeit und informierte über die neuen, bürokratischen Anforderungen sachgemäß und umfassend – eine enorme Leistung in kurzer Zeit. Aber die vielen Jahre der Verbandsarbeit konnten mich nie abhalten, genauso auf meine inneren Signale zu achten. Die sagten: „langsam, langsam“. Umso mehr, da ich eine durch die DSGVO und Medienberichte getriggerte Welle von Stress und Angst spürte, die nun durch ein kollegiales Umfeld wogte, das durch die bekannten Angriffe auf die Homöopathie schon hinreichend angespannt ist.

Angst klopfte auch bei mir an, doch Angst kommt von Enge. Zusammenhänge und das, was hier eigentlich mit uns Menschen geschieht, sehe ich nur, wenn ich mich weit mache! Vor mir sehe ich immer dichtere Netze kaum noch durchschaubarer Vorschriften, im Hinterhof der DSGVO geschaffene Daten-Märkte, Freiberufler als GBDO-konform gläserne Dienstleister und eine rasante Lebens-Entfremdung durch digitale Beziehungslosigkeit. Schleichend und immer noch mehr setzt sich zudem das „Geld als Denkform“ 2 an die Stelle des freien Geistes und der Menschenwürde, deren Schutz laut Art. 1 GG überhaupt erst eine Staatsgewalt legitimieren kann. Alles dies ist eine zusammenhängende Entwicklung und muss uns nicht beängstigen, doch wir sollten dies anschauen, alledem gesammelt mit innerer Kraft ins Auge schauen! Bloßes Diskutieren bringt nichts mehr: lasst uns unsere jeweilige Antwort LEBEN. Eine der vielen möglichen Antworten wäre ja: ZIVILER UNGEHORSAM!

Lammfromm fügsam – bis wohin? Eigenwege mit Augenmaß und Kompromisse

„Ungehorsam“ hat einen Nachteil: als Einzelner mache ich mich nur selbst angreifbar. Also Trotz? Nein, mehr. Die Frage ist echt: Wohin, wie weit und an welche Schlacht-, Scher- und andere Banken wir uns noch als brave Schafe führen lassen. Eine Rebellion maßgeblicher Bevölkerungsteile bleibt bislang aus oder aber wird in verschwörungstheoretischen Eigenwelten absorbiert, die ich eher zur Regression zählen möchte. Es bleibt mir der Verzicht wenigstens auf vorauseilenden Gehorsam. Und manchmal ist es klug, antizyklisch zu handeln, so kann ich ein bisschen kreativer sein.

Eine Datenschutz-Erklärung hatte ich schon länger auf meiner Website eingerichtet, die war spätestens seit 2016 vorgeschrieben, nur hatten das damals fast alle KollegInnen ignoriert. Dann priorisierte ich: Was sind erstmal nur Vorschriften, wo kann ich noch ein wenig beobachten, wie sich die Rechtsprechung entwickelt, wo muss ich aktiv mitdenken und wo lauern reale Gefahren, etwa durch Abmahnung. Obenan stellte ich die Überarbeitung meiner Online-Kontaktformulare. Die Datenschutz-Erklärung meiner Website aktualisierte ich schrittweise, satirische Seitenhiebe beließ ich – viel Vergnügen, wer soweit lesen will. Mit Rundmails zur Verteiler-Bereinigung und Klärung des aktuellen Interesses tat ich etwas, was einstmals und im Vorfeld sinnvoller Kern der DSGVO war: Unerwünschte Mails wollte ich ohnehin nie versenden. Auf dieses Ziel hin – und nicht für letzte Rechtssicherheit – verfasste ich die Texte. Glücklicherweise hatte ich Daten nie einfach aus dem Internet gezogen und stets Jahr und Monat des letzten Kontaktes eingetragen, so dass uralte Datensätze leicht zu erkennen waren. Alles andere lief oder läuft noch schrittweise mit Augenmaß, und an manchen Stellen verzichte ich ganz bewusst auf 100%ige Absicherungen.

Was dann die Buchhaltung anbelangt, ließ ich mich von meinem Steuerberater (und zusätzlich von einer Buchhalterin) beraten und konnte eine individuelle Lösung finden, die mir eine komplette Neu-Aufstellung eines über 25 Jahre gewachsenen Systems für drei Kleinstbetriebe ersparte. Ferner dokumentierte ich jeweils für GOBD und DSGVO, was ich unternommen hatte (bei invasiven Verfahren sollte dies auch für Hygiene über einen bloßen Hygieneplan hinausgehen), und werde diese Schriftstücke gelegentlich aktualisieren. Solche Dokumentationen sind Grundbausteine jedes Qualitätsmanagements. Sie schaffen die Möglichkeit, sich zu erklären und sind ein relativer Schutz, selbst wenn im Einzelnen nicht alles perfekt ist.

Was mir aus dieser Erfahrung bleibt, ist die Notwendigkeit, trotz substanzieller verbandlicher Hilfen einen eigenen Weg zu gestalten. In allem die innere Freiheit, gesetzliche Vorgaben zunächst auf ihren Sinngehalt hin zu filtern, statt blind zu folgen, damit ich eine für mich zu verantwortende Balance zwischen „Leichtsinn vermeiden“ und „Verzicht auf letzte Sicherheit“ finden kann.

Unverdünnt beibehalten werde ich allerdings auch ein wachsam kritisches Auge auf gesellschaftliche Entwicklungen, die meist schleichend und oft im Namen des Schutzes von Betroffenen die Freiheit unserer Berufsausübung – und immer mehr auch die Freiheit unseres Lebens – einengen. Einen solchen Weitblick, wo nötig auch kritische Stimmen, wünsche ich mir von uns allen und besonders von denen, die im VKHD und anderen Organisationen berufspolitisch tätig sind. Wobei unbestritten ist, dass ein Verband die Pflicht hat, über rechtliche Entwicklungen ungeachtet jeder Bewertung objektiv zu informieren und die jeweils rechtssichersten Wege aufzuzeigen.

Was es darüber hinaus zu sagen gäbe, kann ich als Beirat womöglich etwas freier zum Ausdruck bringen. Es muss auch nicht alles Vorstandsmeinung sein.

Carl Classen,
im September 2018

1 „Der Fiskus rüstet digital auf“, Ärztezeitung vom 22.08.18, https://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/finanzen_steuern/article/969635/betriebspruefung-fiskus-ruestet-digital.html

2 Ich wollte eine Quelle angeben, finde im Netz jedoch „zum Geld als Denkform“ zunächst eher eine Ideengeschichte als eine sichere Primärquelle. Schauen Sie also selbst!

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