Mitglieder-Login

Mitglieder-Login

Bitte warten, Berechtigungsprüfung ...
×

Offener Brief an die Teilnehmer*innen der 44. Bundesdelegiertenkonferenz der Partei "Bündnis 90/Die Grünen", an deren übrige Parteimitglieder sowie alle Sympathisant*innen und Wähler*innen

Stefan Reis

Liebe Mitglieder und Anhänger*innen der Grünen -

der kommenden, 44. Bundesdelegiertenkonferenz liegt ein Antrag des Grünen-Mitglieds Tim Niclas Demisch vor, den dieser am 05.09.2019 angelegt hat. Er lautet: "Echter Patient*innenschutz: Bevorteilung der Homöopathie beenden!" Online: https://antraege.gruene.de/44bdk/Echter_Patientinnenschutz_Bevorteilung_der_Homoeopathie_beenden-10922

Aus unserer Sicht fehlen in diesem Antrag grundlegende Informationen, die für eine Entscheidung für oder gegen den Antrag oder dessen Unterstützung notwendig sind. Aus diesem Grund haben wir diesen "Offenen Brief" verfasst.
Der Antragsteller stellt an mehreren Stellen des Antragstextes die Behauptung auf, dass die Homöopathie "nachweislich nicht über den Placebo-Effekt hinaus wirksam" sei; er schreibt von "eindeutig fehlender Wirksamkeit" und "widerlegter Heilung".

Hierzu folgende Anmerkungen:

  1.  Diese Behauptungen sind schlicht unwahr. Bis heute hat keine Studie bzw. Metastudie eine fehlende Wirksamkeit der Homöopathie "nachgewiesen" oder Heilungen im Zuge homöopathischer Behandlungen gar widerlegt. Im Gegenteil: es existieren zahlreiche Studien, die sehr deutlich eine Wirksamkeit über den Placebo-Effekt (und z.T. über die Effizienz eines herkömmlichen Therapieschemas) hinaus nachweisen. Teilweise besteht zwar ein Dissens in Bezug auf die Bewertung der Qualität der vorliegenden Daten. Allerdings zeigen einige qualitativ sehr hochwertige Studien (wie auch Metastudien) ebenfalls positive Ergebnisse. Es kann eingeräumt werden, dass einige Studien die oben angeführte Wirksamkeit nicht belegen, aber dieses Phänomen sollte aus unserer Sicht Anlass zu weiterer, möglichst unabhängiger Erforschung der Homöopathie sein. Festzuhalten bleibt, dass der Antragsteller hier sachlich und nachweislich Falsches behauptet und zudem dafür keinerlei Belege liefert. Belege für die Wirksamkeit gibt es reichlich, z.B. hier:
    https://www.hri-research.org/de/informationsquellen/wichtiges-forschungsmaterial/
    http://www.wisshom.de/dokumente/upload/7cda0_forschungsreader_2016_ergschutzgebühr_180713.pdf.

  2. Der Antragsteller unterfüttert seinen Antrag mit einigen weiteren Argumenten. So weist er auf eine von der Homöopathie ausgehende Gefahr hin. Diese resultiere daraus, dass es zu einer Symptomverschleppung komme, weil eine hilfreiche Behandlung verzögert werden könnte. Zunächst einmal ist dies als spezifische Gefahr, die von der Homöopathie ausgehen soll, zu bestreiten. Eine unangebrachte Therapie (ganz gleich mit welcher Methode) verschärft das gesundheitliche Problem fast immer. Dies ist aber eher ein diagnostisches, als ein therapeutisches Problem.

    Außerdem passt dieses Argument so gar nicht zu der im Antrag ebenfalls geforderten Streichung der Apothekenpflicht für homöopathische Arzneien. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang nämlich, dass die Homöopathie eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz hat und viele Menschen die Option einer homöopathischen Behandlung wünschen (Umfragen zufolge sind das etwa 70% der Bevölkerung). Die weit verbreitete Selbstmedikation mit homöopathischen Arzneimitteln würde dadurch sicher nicht geringer, aber die fehlende fachliche Beratung in der Apotheke könnte in mehr Fällen zur unsachgerechten Einnahme homöopathischer Arzneimitteln führen. Wenn also die "Gefahr" durch homöopathische Behandlungen so groß wäre, erschiene es geradezu widersinnig, sich die Option einer fachlichen Beratung in der Apotheke durch Streichung der Apothekenpflicht zu nehmen.

  3. Aus unserer Sicht kann man den Antrag durchaus so verstehen, dass er sich auf diejenigen potenzierten Arzneimittel beschränkt, in denen durch die üblichen Arbeitsschritte bei der Herstellung kein materieller Wirkstoff mehr nachgewiesen werden kann. Immerhin ist diese "Potenzierung" ja eines der Argumente für die angebliche Wirkungslosigkeit der Homöopathie. Im weiteren Verlauf ist aber stets nur von "homöopathischen Arzneimitteln" im Allgemeinen die Rede. Wie also soll dann mit den niedrig potenzierten homöopathischen Arzneien verfahren werden, in denen der Ausgangswirkstoff nachweisbar ist? In diesem Punkt ist der Antrag zumindest unklar und schon aus formalem Gründen nicht abstimmungsreif.

  4. Der Antragsteller weitet in der Begründung seine Argumentation auf andere Therapiemethoden mit fehlender Evidenz aus. Konsequent weitergedacht bedeutet dies jedoch, dass auch wirkstoffhaltige Medikamente in diese Betrachtung einbezogen werden müssten, wenn kein Wirksamkeitsnachweis vorliegt?! Schließlich ist nicht zu erkennen, weshalb die im Antrag formulierten Forderungen auf homöopathische Arzneimittel beschränkt sein sollten, denn es gibt in der Pharmazie reichlich Beispiele für eine fehlende Evidenz.

  5. Die Homöopathie ist aus ökologischer Sicht (und eine solche sollte euch Grünen doch nach wie vor - zumindest auch - wichtig sein) eine Therapie, die Ressourcen schont und die die Umwelt nicht mit Abfallprodukten oder Giften belastet. Man darf in diesem Zusammenhang gerne auch an den Klimaschutz denken. Abgesehen davon ist sie kostengünstig (siehe auch: https://www.homöopathie-forschung.info/wirtschaftlichkeit-3/).

Liebe Grüne: es ist nicht unsere Absicht, euch für die Homöopathie zu begeistern oder eure Meinung darüber zu ändern. Es ist auch völlig in Ordnung, wenn man den Antrag von Tim Demisch unterstützt, weil man ihn für sinnvoll hält. Aber dann prüft bitte vorab selbst, ob die entscheidenden Kernaussagen der angeblich nachgewiesenen Unwirksamkeit homöopathischer Arzneien korrekt sind. Da der Antragsteller dazu keine Quellenangaben liefert, sind die Leser*innen kaum in der Lage, diese Behauptungen kritisch zu hinterfragen.
Für Nachfragen und fachliche Expertisen stehen wir euch gerne zur Verfügung.

Stefan Reis
VKHD-Vorstand (Öffentlichkeitsarbeit)
Hardenbergstrasse 2
45472 Mülheim an der Ruhr
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Tel. 49 - 208 - 388 14 01
Fax 49 - 208 - 388 14 02

Teilen auf FacebookTeilen auf Twitter