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Grüne Entscheidung zur Homöopathie

Stefan Reis

Auf ihrem digitalen Parteitag im November 2020 hatte Bündnis90/Die Grünen am 22.11. (indirekt) auch darüber zu entscheiden, wie sie es mit der Erstattungsfähigkeit der Homöopathie durch gesetzliche Krankenkassen halten wolle. Der Bundesvorstand hatte bereits im Vorfeld signalisiert, die Erstattungsfähigkeit unter gewissen Umständen, etwa als Wahlleistung, erhalten zu wollen. Zur Erstattung verpflichtet sein sollen die Kassen dagegen bei "Leistungen, […] deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist", so der Text im Entwurf für das neue Grundsatzprogramm. Die Homöopathie wurde in diesem Antrag ausdrücklich nicht erwähnt (und auch in keinem anderen).

Im Vorfeld des Parteitags hatten die Parteimitglieder die Gelegenheit, Änderungsanträge in den Entwurf des Grundsatzprogramms einzubringen. Bis zum Ablauf der entsprechenden Frist hatten sich zu der erwähnten Passage tatsächlich auch ein paar Änderungsanträge eingefunden. Einer war von dem homöopathischen Arzt Yatin Shah eingebracht worden, der die Verwendung des Begriffs "wissenschaftlich" kritisiert und berücksichtigt, dass "Evidenz" aus verschiedenen Säulen besteht. Ein weiterer Antrag kam aus der Ecke der so genannten "Skeptiker" und hatte offenbar zum Ziel, eine Erstattung homöopathischer Leistungen durch gesetzliche Krankenkassen künftig grundsätzlich zu untersagen. Nun ist es bei den Grünen üblich, aus zwei widerstreitenden Anträgen einen Kompromiss zu formulieren, der dann zur Abstimmung kommen kann. Dieser Versuch scheiterte – nicht zuletzt, weil der neue Vorschlag eine aus meiner Sicht inkompatible Melange aus allen drei Texten war, voller Widersprüche und Ungereimtheiten. Konsequenter Weise lehnte Yatin Shah diesen Kompromiss ab, also kam es zur Abstimmung. Am Ende wurde der vom Vorstand vorgelegte Antrag in seiner ursprünglichen Fassung mehrheitlich angenommen. Gleichzeitig wurde mit einer Zweidrittelmehrheit gegen den Antrag gestimmt, der ein Verbot der Erstattung von Homöopathie forderte. Die getroffene Entscheidung bedeutet also keinesfalls das Aus der Erstattungsfähigkeit, sondern definiert lediglich der Umstände, die die Kassen zur Erstattung von Leistungen verpflichten. Der nunmehr offizielle Text im Grundsatzprogramm lautet:

"Leistungen, die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist, müssen [!] von der Solidargemeinschaft übernommen werden. Bei Medikamenten und Impfstoffen, die etwa der Bekämpfung von Pandemien dienen und durch Patente geschützt sind, sind kostengünstige Lizenzen notwendig, um Menschen weltweit versorgen zu können. Diese Lizenzen müssen im Zweifel verpflichtend durchgesetzt werden."

Währenddessen wurde ein weiterer, aus unserer Sicht durchaus bemerkenswerter, Änderungsantrag ohne Gegenantrag und ohne Abstimmung, aber in leicht modifizierter Form, vorab angenommen. Eingebracht worden war er von dem Heidenheimer Arzt für Homöopathie, Ulrich Geyer. Die entsprechende Passage im nunmehr beschlossenen Grundsatzprogramm lautet:

"Wahlfreiheit im Gesundheitswesen bedeutet, dass Versicherte die Möglichkeit haben, sich im Krankheitsfall zwischen unterschiedlichen qualitätsgesicherten Angeboten und Therapien zu entscheiden. Dafür braucht es Therapievielfalt und das Selbstbestimmungsrecht der Patient*innen. Viele Menschen nutzen Komplementärmedizin, die somit eine relevante Rolle in der heutigen Gesundheitsversorgung spielt. Die Forschung zur Wirksamkeit zum Beispiel von Naturheilverfahren soll unterstützt werden."

Diese Ergänzung im grünen Grundsatzprogramm ist der eigentliche Knaller! Offenbar war der Antrag von Dr. Geyer den so genannten "Skeptikern" durchgegangen. Anders ist nicht zu erklären, dass es dazu keinen Änderungsantrag gab. In Verbindung mit der Entscheidung zur Erstattungsfähigkeit kann man also festhalten, dass die Partei insgesamt eine starke Position für die Komplementärmedizin und das Prinzip der Selbstbestimmung der Patient*innen auch hinsichtlich der Therapiewahl bezogen hat.

So weit, so gut … oder?

Noch am Abend des 22. November machte eine Meldung der dpa die Runde, dass die Grünen auf Distanz zur Homöopathie gingen, indem sie forderten, dass gesetzliche Kassen Homöopathie nicht mehr erstatten sollten. Diese Meldung wurde von einigen Redaktion so verbreitet, etwa von der FAZ. Deren Tweet haben wir natürlich sogleich kommentiert:

Grüne Entscheidung zur Homöopathie

Es handelt sich bei dieser Meldung um nichts anderes als Fake-news. Noch mal: es geht im nunmehr verabschiedeten Grundsatzprogramm der Grünen um die Leistungen, für die es eine Erstattungspflicht geben soll – nicht mehr, und nicht weniger.

Die dpa ist ja nicht irgendwer, sondern aus meiner Sicht eigentlich eine Instanz für wahrhaftige Berichterstattung. Bei aller Zufriedenheit über den Ablauf und das Ergebnis des Findungsprozesses rund um das neue Grundsatzprogramm der Grünen, ist dies dann doch etwas mehr als nur ein Wermutstropfen.

 

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