Streit um Forschung an Demenzerkrankten
Streit um Forschung an Demenzerkrankten
Rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland leiden derzeit an einer Demenzerkrankung, und es gibt keine Arznei, die den Verfall des Gedächtnisses aufhalten kann. Deshalb baut die Bundesregierung auf mehr Forschung. Sie will Studien jetzt auch an Demenz-Patienten erlauben, die persönlich gar keinen Nutzen davon haben. Doch es gibt Gegenwind, und die Entscheidung über den geplanten Gesetzesentwurf ist erst einmal in den September verschoben worden.
Demenz ist nach jetzigem Wissenschaftsstand nicht heilbar, aber immer mehr Menschen sind davon betroffen. Die Volkskrankheit Demenz zählt zu den großen gesundheits- und sozialpolitischen Herausforderungen der Gegenwart. Neben der Belastung für Betroffene und Angehörige stellt sich auch die Frage, wie die Gesundheitssysteme die enormen Pflegekosten in Zukunft meistern sollen.
Bundesgesundheitsminister Gröhe und sein Ministerium setzen deshalb nun auf verstärkte Forschung und möchten dazu die gesetzlichen Grundlagen in Deutschland verändern. Derzeit ist die sogenannte „gruppennützige klinische Forschung“ bei nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen nach deutschem Arzneirecht verboten, wenn der Proband selbst keinen eigenen Nutzen aus der Teilnahme zieht. Klinische Studien seien aber notwendig, da es nach wie vor an Therapiemöglichkeiten mangele. Gröhes Entwurf des Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (AMG-E) will dieses Verbot aufweichen. Die Regelung behindere vor allem auch die Entwicklung von wirksamen Therapien bei Demenzen im fortgeschrittenen Stadium, da krankheitsbedingt meist keine Einwilligungsfähigkeit mehr vorliegt, so die Argumentationslinie.
Patient muss in gesundem Zustand zustimmen
Hermann Gröhes Entwurf sieht vor, dass die Forschung erlaubt wird, wenn der Kranke sich im noch einwilligungsfähigen Zustand schriftlich, z.B. in einer Patientenverfügung, dazu bereit erklärt hat. Wenn es dann tatsächlich so weit ist, muss außerdem sein gesetzlicher Vertreter sich von einem Arzt beraten lassen und der Teilnahme zustimmen.
Kritik wird laut
Nicht nur im Bundestag hatte sich heftige Kritik aus allen Reihen geregt. Auch Patientenschützer und Kirchen laufen Sturm gegen die geplanten Änderungen. Es mangele zum einen am Bedarf für die Änderung, und die Gesetzesänderung würde Arzneiforschung zu einer Vielzahl von Krankheiten erlauben. Die Gegner halten es für unverantwortlich, aufgrund einer früheren Einwilligung Studien an Menschen zu machen, die davon nichts mehr mitbekommen und nicht davon profitieren. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und das Kommissariat der deutschen Bischöfe kritisieren, „dass derartige klinische Prüfungen die Gefahr in sich bergen, dass der Mensch zum Nutzen anderer instrumentalisiert und zum bloßen Objekt herabgestuft und benutzt wird“.
Änderungsantrag der Fraktionen
Politiker aller Fraktionen haben daher einen Änderungsantrag eingereicht, der das Verbot aufrechterhalten soll. Das bestehende Schutzniveau für die Gruppe der Nichteinwilligungsfähigen müsse beibehalten werden, so die Gegner der Gesetzesnovelle.
Entscheidung vertagt
Am Freitag, den 08.07.2016, sollte das umstrittene 4. AMG-Änderungsgesetz im Bundestag beschlossen werden, doch nun ist das Thema von der Tagesordnung genommen worden. Die Verabschiedung sei nun auf September verschoben worden, weil die Grünen- und Linken-Fraktion auf die Einhaltung von Gesetzgebungsfristen bestanden hätten.